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"Beyond Typography" hiess das Motto - und ueber die Typografie hinauszugehen war auch definitiv die Absicht dieser Veranstaltung. Im Starck-moeblierten "Wohnzimmer", dekoriert mit einer gruenbehaarten Yorkshire-Lampe fuehrten uns die Gastgeber durch 3 Tagejovialer Talkshow.

Neville Brody erklaerte, FUSE wolle visuelle Sprache hinterfragen: So wie die Malerei durch die Fotografie der Verpflichtung zur Abbildung entledigt wurde, bringe FUSE die Chance, die Typografie von der reinen Lesbarkeitsfunktion zu befreien. Am Ende ihres bisherigen Entwicklungszyklus muesse sich Typografie neu definieren. Er kritisierte, dass wir heute mehr von technologischem Input als von unserem eigenen Output bestimmt seien. "Wir muessen vom Monolog zum Dialog kommen und auch erlauben, dass sich die Botschaft dabei veraendert".

Zwischen den Vortraegen gab es eine Fuelle von Kurzfilmen und Videos, vom Eames-Klassiker "The Powers of Ten" zur Performance von Dumb Type aus Kyoto. Der strukturalistische Streifen "Arnulf Rainer" von Kubelka wurde ausgebuht, worauf Jon Wozencroft mit Stalin konterte: "Jeder hat das Recht dumm zu sein, aber manche missbrauchen das Privileg".

"Intuition" war das Zauberwort der Konferenz - passend fuer Kalifornien, wenn auch der Tenor eher britisch-europaeisch zu sein schien.

Die Organisatoren hatten mit guter Kenntnis Sprecher ausgewaehlt, die entgegengesetzte Standpunkte zum Thema vertraten. Aber Referenten und Publikum schienen ueberfordert: zu oft wurden Gedanken abgelesen und andere Denker zitiert, zu knapp war die Zeit fuer Diskussionen, und die meisten Fragesteller waren noch zu ueberwaeltigt, um Grundlegendem nachzuforschen.

Bald zeigten sich zwei Lager, fuer und gegen Intuition, aber es schien fast verboten, das Wort zu definieren. Sollte man es dann benutzen?

Gegen Intuition argumentierte etwa Jeffery Keedy, der "das neue Ding" als Modewort kritisierte. Intuition sei wie gebildetes Raten, ohne jedoch die Bildung naeher zu definieren. Instinkt und Intuition sollten wir besser unseren pelzigen kleinen Freunden ueberlassen: dazu zeigte er einen Hamster. Seine Geschichte des Postmodernismus fuehrte von Tschichold bis hin zur Werbung fuer die Zielgruppe Jugend & Alternativmusik, die schnell gemacht sei und keine Anzeichen fuer Kriterien aufweise, nach denen sich ihre Qualitaet bestimmen liesse. Er gab jedoch zu bedenken, dass Postmodernismus kein Stil sei, sondern eine Idee.

Auch Malcolm Garrett befand, intuitiv stehe fuer unverstaendlich. Computer seien keine "sachkenntnisfreie Zone": Wissen ist Macht; je mehr man weiss, und je weniger man dieses Wissen vergoettert, umso besser.

Fuer Intuition sprach sich dagegen Jon Wozencroft aus, der dazu aufrief, zu aktivem Hoeren und echter Stille zurueckzukehren, um die rastlose Hypnose der Medien zu brechen. Wozencroft, ein poetischer, leidenschaftlicher Lehrer - nahe bei seinen Studenten, aber fern vom Publikum - sah uns nicht und bemuehte sich zu sehr, seine Filme zu erklaeren. Seine tiefere Absicht blieb den meisten jedoch unersichtlich.

David Carson zitierte Einstein, Paul Rand und William Burroughs als Verfechter der Intuition - aber er ist nicht Einstein, Rand oder Burroughs. Sein erstes Musikvideo schien banal und wenig innovativ, weil MTV-Regisseure bereits reichlich Zeit hatten, ihn zu kopieren und zu ueberholen.

Die Gruppe Skot aus Wien lieferte eine unertraeglich laute, kaum strukturierte Techno-Show: sinnlos schrille Hochfrequenzen, die weit ueber die Schmerzgrenze gingen: Die meisten hielten sich die Ohren zu, viele verliessen den Saal. Pubertaer anmutender technischer Overkill, huebsche Grafiken ohne Überraschung, scheinbar per Computerzufall generiert: kaum Aufbau, nichts Dialogwuerdiges. Wie sagte Keedy? Schnell gemacht und keine Anzeichen fuer Bewertungskriterien - intuitiv im Sinne unserer pelzigen kleinen Freunde.

Viele versuchten, das Rad neu zu erfinden: David Carsons Urlaubsbilder zerfetzter Plakatwaende erinnern an fruehe Projekte unserer Studentenzeit - aber als Autodidakt ist das fuer ihn etwas Neues. Und dass Hitler-Plakate ein Beispiel fuer perfekte Werbung sind, haben die Agenturen schon vor Jahrzehnten zugegeben. Rebeca Mendez' "Slow Art"-Buchumschlag aendert die Farbe bei Handwaerme - wie die Ringe aus den Sechzigern. Lucille Tenazas sagte: "Listen to the photographŠ" - hatte zuvor niemand versucht, Bild und Wort zueinander sprechen zu lassen? Vielleicht hat Malcolm Garrett recht: Wahre Erfindung ist nur ein Mythos. Alle Kunst ist Diebstahl - ohne Bezug auf Vergangenes kann nichts geschaffen werden.

Joachim Muller-Lance graduated with honors from the Basel School of Design in Switzerland and studied Fine Arts at Cooper Union in New York. He has been a senior designer at Access Press/The Understanding Business New York/San Francisco, designed cultural exhibitions and publications related to the 1992 Olympics in Barcelona, and was Lead information designer for Barclays Global Investors in San Francisco for 3 years. He received the Gold Prize of the 1993 Morisawa Awards for his "Lance" typeface family, and two awards for his first Kanji and Latin typeface "Shirokuro" at the 1999 Morisawa Awards. Since 1997, Joachim is principal of Kame Design, for graphic and information design, typefaces, cartooning and animation.

www.kamedesign.com
joachim@kamedesign.com

article for PAGEmagazine, germany:
# 08/98, august 1998

"jenseits-forschung"
(investigations in the beyond)
report on
"FUSE'98 Beyond Typography"
san francisco 1998

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